Wir dürfen unsere Innenstadt nicht sterben lassen

Wir dürfen unsere Innenstadt nicht sterben lassen
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Der Einzelhandel befindet sich in einem Strukturwandel. Und damit nicht genug: Die Folgen der Corona-Pandemie beschleunigten die massiven Strukturprobleme und Funktionsverluste der deutschen Innenstadt. Zahlreichen Einzelhändler*innen des stationären Handels droht nun das Aus. Expert*innen, darunter die Bundesstiftung Baukultur aber auch der Deutsche Städtetag, sehen Bund und Länder in der Pflicht Lösungen für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung zu schaffen. Aber was ist eigentlich das Problem, wenn der stationäre Handel unsere Innenstadt verlässt? Ein Überblick. 

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Autorin:
Theresa Ramisch, G+L Chefredakteurin

Theresa Ramisch studierte Stadtplanung in Erfurt und München mit Schwerpunkt auf Öffentlichkeits­beteiligung und Kommunikation. Sie ist seit 2016 Redakteurin bei Georg Media und seit Januar 2021 Chefredakteurin der G+L.
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Karstadt, Kaufhof, Hertie, Horten, Quelle – bis in die 1980er-Jahre gab es in Deutschlands Innenstädten noch diese fünf großen Warenhauskonzerne. Sie entstanden nach britischem, französischem und US-amerikanischem Vorbild und prägten die deutsche Innenstadt auf besondere Weise. Ein kurzer Sprung in ihre detaillierte Entstehungsgeschichte ist durchaus interessant. Denn: Ursprünglich entwickelten sich die europäischen Warenhäuser aus überdachten Einkaufspassagen im frühen 19. Jahrhundert. Die nächste Entwicklungsstufe waren schmucklose und in Abteilungen gegliederte Großläden in den angelsächsischen Ländern. Hier setzten wiederum ein paar Jahre später die Pariser Großläden eins drauf. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bereiteten diese ihre Ware in ihren Häusern der Innenstadt beeindruckend auf, präsentierten sie in offener Fülle. Sie verkauften ihre Ware zum Festpreis, bei freiem Eintritt, im Rahmen eines großzügigen Umtauschrechts und mit intensiver Reklame. In dieser Zeit entstanden so unter anderem auch die Galeries Lafayette (1894) – aus einem kleinen Wäscheladen.
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Blick auf die weihnachtlich geschmückten Galeries Lafayette in Paris. Foto: commons.wikimedia.org

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Als man in Londons Innenstadt noch Elefanten kaufen konnte

Auch das „Harrods“ sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Das Londoner Warenhaus wurde 1834 von Charles Henry Harrod gegründet. Es ist vermutlich das bekannteste der Welt. Und (!) das Warenhaus war noch bis 2001 Hoflieferant für zahlreiche Mitglieder des britischen Könighauses. Darunter für Königin Elisabeth II., Prinz Philip (als Herrenausstatter), Prince Charles (als Herrenausstatter und Sattler) sowie für Königin Elizabeth – der Königin-Mutter – sie bezog Porzellan und Glaswaren. In den 1960er-Jahren bot Harrods sogar auch Leoparden, Papageien und Bären an. Ebenso sollen hier Elefanten verkauft worden sein. Erst 1976 schränkte ein Gesetz den freien Verkauf bedrohter Tierarten ein. Trotz allem Erfolg blickt aber auch das Harrods inzwischen auf bewegte Zeiten zurück. 1985 kaufte der ägyptische Unternehmer und Milliardär Mohamed Al-Fayed das Warenhaus. 25 Jahre später, im Mai 2010, gab dieser es wiederum für geschätzte 1,7 Milliarden Euro an den Investor Qatar Holding, Katar weiter.
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Blick auf das Londoner Warenhaus Harrods zur Weihnachtszeit. Es ist vermutlich das bekannteste der Welt. Foto: flickr.com

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Kein Karstadt und Kaufhof künftig mehr in unserer Innenstadt

Hertie, Quelle, Horten und Co. ereilte ein ähnliches und doch anderes Schicksal. Sie wurden nach und nach aufgekauft und / oder verschwanden aus dem Stadtbild der deutschen Innenstadt – bis eigentlich nur noch die Warenhäuser von Galeria Kaufhof und Karstadt übrigblieben. Doch auch das ist jetzt Geschichte. Die Galeria Kaufhof GmbH und die Karstadt Warenhaus GmbH fusionierten im Januar 2020 unter dem Dach der Signa Holding als „Galeria Karstadt Kaufhof GmbH“. Diese wiederum musste wenige Monate später, im Juli 2020, ein Insolvenzverfahren anmelden, das Ende September 2020 seinen Abschluss fand. Im August 2021, also ein knappes Jahr später, gab das Unternehmen darüber hinaus bekannt künftig nur noch unter dem Namen „Galeria“ auftreten zu wollen. In der deutschen Innenstadt wird es in Zukunft also keinen Karstadt und keinen Kaufhof mehr geben – nur noch „Galerias“. Die Filialen in Frankfurt am Main, Kassel und Kleve sind bereits umgebaut, die weiteren 131 Stück sollen folgen.
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Blick auf die Galeria Kaufhof in München. Foto: commons.wikimedia.org

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460 Millionen Euro Nachrangdarlehen für Galeria

Die Zeit der großen deutschen Warenhäuser ist damit eigentlich passé. In den vergangenen Jahren machten sowohl die zunehmende Digitalisierung (und damit das Online-Shopping) als auch mehr und mehr Spezialmärkte und Einkaufsmalls – oftmals außerhalb der Innenstadt und auf der grünen Wiese – die großen Warenhäuser obsolet. Das Sortiment in Karstadt und Co. veränderte sich dadurch grundlegend und reagierte damit auf das Kaufverhalten vieler Städter*innen. Das Stichwort hier schlechthin: der Strukturwandel. Die Corona-Pandemie mit Beginn Anfang 2020 setze dem eh schon angeschlagenen Einzelhandel dann noch mehr zu. So gewährte laut spiegel.de der Bund der Galeria Kaufhof im Zuge der Corona-Pandemie dem Warenhaus Galeria Karstadt Kaufhof GmbH ein Nachrangdarlehen von insgesamt 460 Millionen Euro.

Bund reagiert auf Veränderungen

Das Schicksal der großen deutschen Warenhäuser kann auch stellvertretend für die Entwicklungen der deutschen Innenstadt betrachtet werden. Seit mehreren Jahrzehnten sind die deutsche Innenstadt, aber auch zahlreiche Stadt- und Ortsteilzentren und Ortskerne von einem anhaltenden Strukturwandel im Einzelhandel betroffen. Hinzukommen hier außerdem große Veränderungen in den Bereichen Tourismus, Kultur, gewerbliche Nutzungen und Wohnnutzung. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie beschleunigen diese strukturellen Entwicklungen. Die Corona-Pandemie stürzte zahlreiche Einzelhändler*innen, Gastronom*innen, aber auch Kulturschaffende in existenzielle Krisen. Für unsere Städte bedeutet das: Auf die Veränderungen muss reagiert werden. Dies bestätigt auch der Projektaufruf „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ vom Bundesinnenministerium und dem BBSR, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, vom Juli 2021.

Übersicht: Positionspapiere zur Innenstadt

Im Projektaufruf heißt es, es seien aus Perspektive des Bundes „funktionale, städtebauliche und immobilienwirtschaftliche Anpassungen in den Innenstädten, Stadt- und Ortsteilzentren“ von Nöten „um die generelle Funktion dieser Handlungsräume für die Gesamtstadt langfristig zu sichern“. Hier hinzu kämen Anpassungen in Klimaschutz, Mobilität, Wohnen, Freiraum und Grün. Aus diesem Grund hat sich der Bund entschlossen mit dem Bundesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ und einem Fördertopf von 250 Millionen Städte und Gemeinden bei der Entwicklung (und teilweise Umsetzung) innovativer Konzepte und Handlungsstrategien zu unterstützen. Dem Bundesprogramm waren dabei zahlreiche Positionspapiere vorangegangen, die Maßnahmen vom Bund forderten. Hier haben wir die wichtigsten aufgelistet:

Bundesstiftung Baukultur und Partner forderten 500 Millionen Euro jährlich

In dem Positionspapier „Stoppt den Niedergang unserer Innenstädte“ erarbeiteten die Bundesstiftung Baukultur, der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV), der Handelsverband Deutschland (HDE) und Urbanicom gemeinsam einen Sechs-Punkte-Plan zur Rettung der Zentren. Dieses umfasste die folgenden Punkte:
  • multifunktionale und kreative Konzepte
  • lokale Aktionsgruppen
  • konsequente planerische Steuerung
  • städtebauliche und architektonische Aufwertung
  • City- und Stadtteilmarketing
  • leistungsfähige Digitalisierung

Durch diese sechs Maßnahmen sollten Bund und Länder Städten und Gemeinden helfen, ihre Zentren zukunftsfähig umzugestalten – besonders jenen, die schon vor der Pandemie strukturelle und demografische Schwierigkeiten hatten. Zuzüglich zu den sechs Maßnahmen formulierten Baukulturstiftung und Co. außerdem vier Forderungen an den Bund:
  • ein Sonderprogramm zur Innenstadtstabilisierung (500 Millionen Euro jährlich für einen Zeitraum von fünf Jahren – genau wie bei Verdi)
  • die Entwicklung eines Innenstadt-Innovationsprogramms, um in ausgewählten Städten innovative Handlungsansätze als modellhafte Beispiele zu testen
  • die Einrichtung eines breitangelegten Kulturfonds um Kultur-, Kreativ- und Freizeitaktivitäten in der Innenstadt zu stärken
  • die Entwicklung eines planungsrechtlichen Instrumentariums, um Abwanderung und Leerstand gegensteuern zu können

Das geforderte „Sonderprogramm zur Innenstadtstabilisierung“ kann man mit dem Projektaufruf des Bundes als angegangen bezeichnen. Mehr zu dem Positionspapier von Bundesstiftung Baukultur und Co. lesen Sie hier: Positionspapier Innenstadt.

Verdi sieht Bund und Länder in der Pflicht

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Engagement der Gewerkschaft Verdi. Auch Verdi sieht die Innenstadt bedroht und forderte in ihrem „Positionspapier zur Zukunft der Innenstädte des Verdi-Bundesvorstands vom 4. November 2021“ ein Förderprogramm für die deutsche Innenstadt mit – ebenso – jährlich 500 Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren. Die Verantwortung liege hier laut Verdi bei Bund und Ländern Städte und Gemeinden dabei zu unterstützen, die Innenstadt in eine nachhaltige Zukunft zu führen. In dem Positionspapier erarbeitete die Gewerkschaft ebenso ein Maßnahmenbündel zur Entwicklung der Zentren. Die Gewerkschaft plädiert dabei für eine stärker am Gemeinwohl orientierte Ausrichtung der Zentren, in der Kultur und soziale Einrichtungen zu finden sind. Der öffentliche Raum soll ein Ort der Begegnung und der Freizeit sein und sowohl Klimaschutz als auch Klimaanpassung hier ihre Beachtung finden. Mehr dazu lesen Sie hier: Verdi Innenstädte.

Bund veröffentlichte im Juli 2021 Strategie zur Innenstadt

Das Projekt „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ von Bundesinnenministerium und BBSR (siehe oben), aber auch die Innenstadtstrategie des Beirats „Innenstadt“ beim BMI, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Juli 2021 veröffentlichte, zeigt, dass diese Positionspapiere – und insbesondere die Forderung von der Bundesstiftung Baukultur und Partner*innen – nicht ungehört geblieben sind. Auch wenn die angefragten Fördertopfsummen nicht erreicht werden konnten. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, wer letztlich an der Innenstadt-Strategie alles beteiligt war. Denn zum Beirat Innenstadt beim BMI zählten mitunter die Verfasser*innen der Positionspapiere:
  • der Handelsverband Deutschland,
  • der Deutsche Industrie- und Handelskammertag,
  • der Zentralverband des Deutschen Handwerks,
  • der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen,
  • der ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.,
  • Haus & Grund,
  • die Dehoga,
  • der Deutsche Städte- und Gemeindebund,
  • der Deutsche Städtetag aber auch
  • der Bundesverband „Die Stadtentwickler“.

Verödung der Innenstadt – warum ist das ein Problem?

Sie alle sehen also die Innenstadt als bedroht an. Aber von was eigentlich? Welchen konkreten Gefahren tritt unsere Innenstadt überhaupt aktuell entgegen? Was ist das Problem, wenn immer weniger Warenhäuser und Geschäfte die Innenstadt verlassen müssen? Also abgesehen von den zahlreichen dramatischen Einzelschicksalen der Einzelhändler*innen, die aufgrund des wirtschaftlichen Drucks oftmals Familienunternehmen aufgeben müssen? Und was steckt hinter dieser ominösen Gefahr der „Verödung der Innenstadt“, die sowohl politische Entscheidungsträger*innen, aber auch Bürger*innen in Statements und Gesprächen immer wieder anführen. Wir haben im Folgenden den Versuch unternommen, kurz und knackig eine Übersicht hierzu zu schaffen.

Ursachen des Strukturwandels des Einzelhandels

  • technischer Wandel
  • zunehmende Globalisierung
  • veränderte Konsumpräferenzen im Zuge eines zunehmenden Wohlstandes und demografische Veränderungen
  • verändertes Einkaufsverhalten der Gesellschaft (zum Beispiel der Wunsch nicht im Rahmen der Öffnungszeiten Einkaufen zu müssen)

Auswirkungen auf den innerstädtischen Handel

  • Der Online-Handel wächst, es gibt mehr Online-Shopping.
  • Der stationäre Handel kann in Preis und Sortiment nicht mit Online-Handel mithalten.
  • Folge 1: Es entsteht ein starker wirtschaftlicher Druck auf stationären Handel allgemein und den eigentümergeführten Handel im Besonderen.
  • Folge 2: Läden müssen schließen, es entsteht Leerstand in der Innenstadt.
  • Folge 3: Hierdurch besuchen immer weniger Menschen die Innenstadt, die Frequentierung sinkt und die öffentlichen Räume drohen zu „veröden“.

Gefahren der zunehmenden Ladenschließungen

  • Die Innenstadt kann ihre wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.
  • Die Funktionen des sozialen Austausches, des Handels, der Kommunikation, der politischen Partizipation, der öffentlichen Diskurse, aber auch des Verkehrs und der Freizeit können nicht mehr garantiert werden.
  • Die Innenstadt verliert damit ihre Aufgabe als Identifikationsort und Multifunktionsort.
  • Die Stadt verliert zudem einen zentralen Versorgungsbereich des täglichen und erweiterten Bedarfs.
  • Expert*innen befürchten außerdem negative Dominoeffekte auf das Umfeld, die dann auch andere innerstädtische Dienstleister und Ladenhandwerker*innen betreffen könnten.
  • Zudem geraten weitere innenstadtrelevante Wirtschaftsbereiche und Kultureinrichtungen wie Hotels, Gastronomie, Tourismus, Büros, private und öffentliche Kultureinrichtungen und die damit verbundenen Immobilien durch den zunehmenden Leerstand in Gefahr.
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Eine Leseempfehlung in diesem Zusammenhang ist die Online-Publikation: „Strukturwandel im deutschen Einzelhandel“, die die Entwicklungen nochmal im Detail und Faktenbasiert darstellt.
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Wir dürfen unsere Innenstadt nicht sterben lassen

Ja, die Situation ist also ernst und wir brauchen Lösungen. Diese können darin liegen den stationären Einzelhandel zu fördern, aber auch die Innenstadt vollkommen neu zu erfinden. Die Innenstadt-Strategie des Bundes über Länderprogramme wie „Resiliente Innenstädte“ der Landesregierung Niedersachsen mit einem Fördertopf von 61,5 Millionen Euro EU-Mittel für eine nachhaltige Stadtentwicklung bis hin zur empirischen Szenariostudie #ELASTICITY der Innovationspartnerschaft »Innenstadt 2030+ | Future Public Space aus der Fraunhofer-Initiative Morgenstadt zeigen auf: Ideen gibt es bereits viele, jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Denn feststeht: Unsere Innenstadt, ob mit Einzelhandel oder ohne, dürfen wir nicht sterben lassen.
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