Das Einfamilienhaus ist so heilig wie das Steak auf dem Grill – Ralf Niebergall

Das Einfamilienhaus ist so heilig wie das Steak auf dem Grill – Ralf Niebergall
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Ralf Niebergall ist ein echter Tausendsassa. Seit 2013 ist er Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer (und wurde seitdem 2016 und 2021 wiedergewählt) und hier unter anderem für die Bereiche Internationales, Ausbildung, Berufsanerkennung zuständig. Als Vertreter der BAK ist er zudem „Head of Delegation“ der deutschen Delegation im Architects‘ Council of Europe. Ralf Niebergall ist außerdem aber auch in der Lehre tätig. 2006 wechselte er an die Hochschule Anhalt in Dessau. Seit 2019 darf er sich Direktor der englischsprachigen „Dessau International Architecture Graduate School (DIA)“ nennen. Wir von der G+L schätzen Ralf Niebergall sehr als höchst zuverlässigen Partner in der BAK. Wann immer wir eine Frage an die BAK haben, können wir uns sicher sein, dass Ralf Niebergall antwortet. Hier bezieht er Stellung zu unserer dritten These Das Einfamilienhaus ist tot. Es lebe das Einfamilienhaus.

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Ralf Niebergall, Bundesarchitektenkammer Präsidium, zum Einfamilienhaus bei 52 Thesen. Foto: Till Budde

Ralf Niebergall (Foto: Till Budde)

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„Wir wissen, dass der ökologische Fußabdruck von Mehrfamilienhäusern deutlich geringer ist.“ – Ralf Niebergall

 

Meistens sind sie weiß; die Häuser genauso, wie die kniehohen Zaunlatten davor. Dazwischen blitzsauberer Asphalt, kein Papierschnipsel, keine Zigarettenkippe. Dahinter Kirschlorbeer, Carport und der Weg zur Eingangstür, die von drei Ziegelreihen überdacht ist. Geschwungene Balken rechts und links, in der Mitte ein Strohkranz mit „Herzlich Willkommen“ aus Plastilin geformt. Die Dächer ganz individuell: klassisch rot, anthrazit, blau glasiert. Kneift man die Augen zusammen und begibt sich in die Siedlung hinein, weiß man nach wenigen Schritten nicht mehr, ob man sich in der Wirklichkeit befindet, oder in einem Playmobil-Baukasten, Serie „City-Life“, 391 Teile, inklusive Terrassenmöbel, Grill und funktionierender Türklingel.

Dieses Klischee von der typischen Einfamilienhaussiedlung jedenfalls lebt, wird täglich irgendwo gebaut, mittlerweile „ökologisch“ aufgerüstet mit Solarpaneel und Wärmepumpe oder modern adaptiert im „Bauhaus-Stil“, erhältlich auch in Holz. Glaubt man der Statistik, ist das freistehende Einfamilienhaus noch immer der Sehnsuchtsort für die Hälfte aller Deutschen im baufähigen Alter. Was also ist dagegen einzuwenden? Anton Hofreiter musste tief den Kopf einziehen, um nicht vom Shitstorm besudelt zu werden, als er einem Hamburger Stadtbezirk Beifall klatschte, der keine Einfamilienhausgebiete mehr ausweisen will. Den Grünen drohte ein zweites Veggie-Day-Desaster – das Einfamilienhaus ist so heilig wie das Steak auf dem Grill – und so mussten sie beteuern, kein Verbot zu fordern, was Hofreiter ja auch nicht getan hatte. Warum auch? Genau genommen besteht fast die ganze Altstadt von Amsterdam aus Einfamilienhäusern; ansonsten aus Fahrradfahrerinnen, Hausbooten und Coffee-shops. Eigentlich ein grünes Paradies, wären da nicht „Overtourism“ und Gentrifizierung als Kehrseite dieser lebendigen europäischen Stadt par excellence.

Schwierig wird die Debatte dann, wenn die Frontlinie zwischen dem zweifellos in Ballungszentren dringend erforderlichen sozialen Wohnungsbau und dem Eigentum als bevorzugter Wohnform (wenn man sie sich leisten könnte) für immerhin fast zwei Drittel der Bevölkerung verläuft. Sie erlaubt nicht die erforderliche Differenzierung. Wir wissen, dass der ökologische Fußabdruck von Mehrfamilienhäusern deutlich geringer ist, als der von anderen Siedlungsformen: geringerer Flächenverbrauch, höhere Energieeffizienz, Potenzial für Quartierslösungen bei der Energieversorgung, Mobilität, technischer Infrastruktur und dies zunächst ganz unabhängig von der Frage nach Miet- oder Eigentumswohnungsbau. Dass höhere städtische Dichten die Chancen für eine lebendige Funktionsmischung und soziale Inklusion erhöhen, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Wahr ist aber auch, dass viele neu gebaute Stadtquartiere diese Verheißung gar nicht erfüllen, sei es, weil die soziale Durchmischung durch differenzierte Wohnungsangebote fehlt, oder sei es, weil Wohn-Monostrukturen die Durchmischung mit Arbeitsplätzen, Kleingewerbe und kulturellen Angeboten erschweren, die letztlich lebendige Städte ausmachen. Hinzu kommt, dass nicht erst seit Corona der Wunsch nach dem eigenen Gärtchen als Rückzugsort und der Wunsch nach individuellem Mit-Gestalten für den Baumarkt-liebenden deutschen Mann, Sehnsüchte sind, die man kaum ignorieren kann. Hier intelligente Lösungen für „gestapelte Einfamilienhäuser“ und verdichtete Lösungen anzubieten und zu fördern und hervorragende Beispiele nicht nur in Architekten-Zirkeln zu loben, sondern in der Breite an die potentielle Bauherrin heranzutragen, ist die Kunst einer besseren Kommunikation. Initiativen wie das Förderprogramm „Neue Perspektive Wohnen“ aus Schleswig-Holstein können da sehr viel helfen.

 

„Der Versuch 400 000 Wohnungen pro Jahr zu schaffen ist es wert. Die Betonung liegt auf ‘schaffen’. Es ist nicht notwendig neu zu bauen.“ – Ralf Niebergall

 

Noch viel mehr Phantasie ist gefragt, wenn es um den Bestand geht. Und um den muss es in erster Linie gehen, wenn wir Klimaschutz im Bauen ernst nehmen. Das meint zunächst nicht einmal vorrangig architektonische Phantasie. Einfamilienhäuser auf Supermarktdächern wurden in Wien schon vor 30 Jahren gebaut. Auch das Reihenhaus im alten Straßenbahndepot ist keine neue Idee. Es braucht Strategien von Kommunen, auch im wirklich ländlichen Raum, nicht nur im Speckgürtel großer Städte, das Wohnen attraktiv zu machen, auch das Wohnen im Eigenheim, das schon da ist. Brandenburgische Dörfer bestehen nicht nur aus riesigen Vierseitbauernhöfen für die Aussteigerkommune aus der Hauptstadt. Auch ländlich geprägte Kleinstädte haben in ihren Kernen häufig kleinere Eigenheimstrukturen mit tiefen Gärten, die sogar einen Neubau in zweiter Reihe ermöglichen würden, wäre das nicht oft ein planerisches Tabu. Der gemeine „Häuslebauer“ und seine Hausbank ziehen freilich die vermeintliche Sicherheit des neuen Fertighauses auf 500 Quadratmeter Grund dem unbekannten Abenteuer einer Modernisierung des Bestehenden vor und Gemeinderäte stimmen neuen Einfamilienhausgebieten zu, aus Angst, potenzielle Steuerzahlerinnen zu verlieren. Aber eine Kanalisierung in das bereits Gebaute tut Not und es bedarf gezielterer Förderung als es ein Baukindergeld mit der Gießkanne. Dass solch eine Aktivierung des Bestandes für das Wohnen einhergehen muss mit Breitbandausbau an jeder Milchkanne, mit zukunftsfähigen Mobilitätskonzepten und vernetzter Infrastrukturplanung, versteht sich von selbst, denn nur dann entstehen wieder attraktive Arbeitsplätze in ausblutenden Regionen und mit ihnen kulturelle Angebote, ein Dienstleistungssektor, Daseinsvorsorge von der Ärztin bis zur weiterführenden Schule. Vielleicht nicht in der 15-Minuten-Stadt, aber wenigstens in 30 Minuten mit ÖPNV und irgendwann selbstfahrenden Car-Sharing-Angeboten. Dafür ist man in 15 Minuten mit Kind und Hund im Wald. Vielleicht klingt das alles viel zu romantisch und zukunftsgläubig. Den Versuch, alle Ressourcen zu nutzen, die bereits gebaut sind, um weitere Flächenversiegelung, Verlust an Biodiversität und exzessiven Rohstoffverbrauch zu minimieren und dennoch 400 000 Wohnungen pro Jahr zu schaffen – nicht notwendig neu zu bauen – ist es allemal wert.

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Zum Online-Magazin „52 Thesen“

 

Sagen wir, wie es ist: Unsere Städte stehen aktuell vor einem Haufen von Problemen: Klimawandel, Städtewachstum, Flächendruck, Innenstadtsterben, bezahlbares Wohnen und und und. Was es jetzt braucht sind tatsächlich smarte Lösungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Im G+L-Onlinemagazin „52 Thesen“ definieren Expert*innen aus Stadtplanung und Landschaftsarchitektur was sich jetzt ändern muss. Alle Artikel finden Sie hier unter: 52 Thesen.

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